Werktitel: Study for Portrait of Henrietta Moraes (Francis Bacon, 1964)
Inventarnummer: K-422
Größe/Material: 198,1 × 147,3 cm, Öl auf Leinwand
The Estate of Francis Bacon/Bildrecht, Wien 2024
Henrietta Moraes, die Muse mehrerer Künstler:innen in London, liegt auf einer schmutzigen, halb abgezogenen Matratze und scheint uns – wenn auch nur mit einem Auge – direkt anzuschauen. Ihr Gesicht ist durch Pinselstriche verwischt, wirkt entstellt und durcheinandergebracht. Die Frau ist üppig, fleischig und mutet wegen ihres kaum erkennbaren Ausdrucks weniger menschlich, sondern fast bestialisch an. Die Figuren, die Bacon malt, zeigen den inneren Widerstreit zwischen Gut und Böse, Opfer und Täter, Abneigung und Verführung. Bacon porträtiert dabei fast ausschließlich Personen, die ihm nahestehen; erst später, als immer mehr Menschen aus seinem Umfeld versterben, malt er vermehrt sich selbst.
Obwohl die Konturen von Moraes’ Körper klarer gezeichnet sind als ihr Gesicht, wirkt die klassische Pose dynamisch – die bildliche Darstellung erinnert fast an eine leicht verschwommene Fotografie. Tatsächlich sind es meist Fotografien, die Bacon als Vorlage für seine Werke nutzt. Moraes wird von John Deakin fotografiert, die Posen gibt aber Bacon vor. Er kommentiert die Aufnahmen durch seine Gemälde und baut Spannungen auf, die eine Kamera nicht einzufangen vermag. Dies wird unterstützt durch den leeren Raum, in dem nur ein einfaches Bett steht. Die runde Form am Boden trennt Moraes und das Bett scharf vom Rest ab, die Frau scheint sich wie im Scheinwerferlicht auf einer dunklen Bühne zu befinden. Dabei fällt auf, dass nur die Matratze, nicht aber das Bettgestell oder Moraes selbst Schatten werfen. Bacon malt bewusst einen stark reduzierten Hintergrund, um die Protagonistin im Bild zu isolieren und dadurch hervorzuheben. So wird sie jeglichem zeitlichen oder räumlichen Kontext entrissen und steht nur für sich selbst.
Der Ire Francis Bacon ist als Künstler Autodidakt, studiert also nie an einer Akademie. Zunächst arbeitet er als Innendekorateur in London, gelangt aber über die Begegnung mit der Pariser Kunstszene der 1920er-Jahre zur Malerei. Sein Stil lässt sich nicht eindeutig zuordnen, als große Vorbilder dienen ihm Diego Velázquez und Pablo Picasso. AW
+ PROVENIENZ
1965 | Marlborough Fine Art Ltd., London |
… | Marlborough-Gerson Gallery Inc., New York |
1965 | Mc Crory Collection, New York |
… | Galerie Beyeler, Basel |
… | Private Collection, Switzerland |
13.05.2002 | Phillips, de Pury & Luxembourg, New York, Contemporary Art & 14 Duchamp Ready – Mades, Lot 30 |
2002 | Heidi Horten |
2022 | HGH Vermögensstiftung |
+ LITERATUR
Round the London Galleries: The Catalan Magician, von James Burr, in: Apollo, September 1964, Ausgabe LXXX:31, S. 238-240, Abbildung S. 239. |
Francis Bacon, Triptych ‘71, Kunst-station Sankt Peter, Köln 1993, S. 23. |
Agnes Husslein-Arco & Bettina M. Busse (Hg.), Gironcoli: Context. Andre / Bacon / Barney / Beuys / Bourgeois / Brus / Klauke / Nauman / Schwarzkogler / West, Ausstellungskatalog Belvedere, Verlag für Moderne Kunst, Wien 2013, S.130-135. |
Francis Bacon, Catalogue Raisonné, Martin Harrison (Hg.) und Rebecca Daniels (Ass. Hg.), 5 Bände, Volume III 1958-71, The Estate of Francis Bacon, Heni Publishing, London 2016, S. 749. |
Heidi Horten Collection / Agnes Husslein-Arco (Hg.), WOW! The Heidi Horten Collection, Ausstellungskatalog Leopold Museum, korrigierte 2. Auflage, Wien 2018, S. 37-39. |
The Estate of Francis Bacon, Francis Bacon. Metamorphoses, von Katharina Günther, London 2011, S. 19. |
The Estate of Francis Bacon, Francis Bacon. Catalogue Raisonné, London 2016, S. 36, S. 708, S. 748, Abbildung S. 749, S. 798. |
Francis Bacon. Taking Reality by Surprise, von Christophe Domino, New Horizons series, London 1997, Abbildung S. 6, S. 96. |
Heidi Horten Collection / Agnes Husslein-Arco & Rolf Johannsen (Hg.), Sammlungsführer, Wien 2023, S. 136-137. |