Werktitel: Dreieck zwischen Arm und Rumpf (Georg Baselitz, 1973)
Inventarnummer: K-77
Größe/Material: 250 × 180 cm, Öl und Kohle auf Leinwand
Merkmale: signiert und datiert 73, betitelt auf der Rückseite
Georg Baselitz, 2024
Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz, Nonkonformist, Individualist, Rebell: einer, der es wissen will und schließlich beginnt, alles auf den Kopf zu stellen – so die stark verknappte Biografie des Künstlers bis in die 1970er-Jahre. Baselitz wächst in Sachsen auf und erlebt als Siebenjähriger das Kriegsende. Landschaft, Kindheit und Jugend in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR prägen ihn zutiefst. Nach dem Abitur geht er 1956 zum Studium an die Kunsthochschule Weißensee in Ostberlin. Baselitz wird von der Schule verwiesen und studiert anschließend an der heutigen Universität der Künste, deren Meisterschüler er 1961/62 ist, im Westteil der Stadt. Um die gleiche Zeit tritt Baselitz als Maler in Erscheinung. Seine erste Einzelausstellung 1963 wird zum Skandal, sein Bild Die große Nacht im Eimer, das einen nackten Mann mit übergroßem Phallus zeigt, wird von der Berliner Polizei beschlagnahmt und erst zwei Jahre später wieder freigegeben. Gleichzeitig malt Baselitz Landschaften aus seiner sächsischen Heimat, schließlich Helden und Antihelden, die Leitbilder seines Rebellentums und Selbstbespiegelung in einen sind. Parallel setzt eine neue Werkphase ein, in der Baselitz Figuren und Gegenstände in zueinander versetzte Segmente zerteilt. Sie gipfelt in der Drehung des Motivs um 180 Grad – ein bis heute gültiges Gestaltungsprinzip in Baselitz’ Malerei, das unsere Seh- und Wahrnehmungsgewohnheiten buchstäblich auf den Kopf stellt. Dreieck zwischen Arm und Rumpf ist ein Selbstporträt im gleichen monumentalen Format wie Die große Nacht im Eimer. Baselitz stellt sich nackt im Profil mit nicht ganz rechtwinklig ausgestrecktem linkem Arm dar. Die Hand ist wie zur Faust geschlossen, dennoch wirkt die Figur nicht aggressiv; unwillkürliche Assoziationen zum Hitlergruß werden so ad absurdum geführt. Himmel und Landschaft sind lediglich farblich angedeutet. Im Winkel zwischen ausgestrecktem Arm und Körper malt Baselitz einen Flügel. Anspielungen an Dädalus, der für sich und seinen Sohn Ikarus Flügel baut, um aus dem Labyrinth des Minos auf Kreta zu fliehen, liegen nahe. Die Flucht gelingt, doch nähert sich Ikarus trotz Warnungen seines Vaters zu sehr der Sonne. Das Wachs, mit dem die Federn am Fluggestell befestigt sind, schmilzt und Ikarus stürzt ab. RJ
+ PROVENIENZ
… | Galerie Heiner Friedrich, Berlin |
… | Galerie Thomas |
26.06.1997 | Sotheby‘s London, Contemporary Art, Part I, Lot 46, S.98. |
1997 | Heidi Horten |
2022 | HGH Vermögensstiftung |
+ LITERATUR
Benedikt Taschen, Georg Baselitz, Taschen Verlag, Köln 1990, S. 101, Nr. 77. |
Siegfried Gohr, Georg Baselitz. Retrospektive 1964-1991, München 1992, S. 20. |
Siegfried Gohr, Über Baselitz. Aufsatz und Gespräche: 1976-1996, Köln 1996, S. 61. |
Detlev Gretenkort, Georg Baselitz Danse gotique. Écrits et entretiens, 1961 - 2019, L'Atelier Contemporain, Strassburg 2020, Nr. 55. |
Sir Norman Rosenthal, Baselitz. Ausstellungskatalog, The Royal Academy of Arts, London 2007, S. 143, Cat. 84. |
Heidi Horten Collection / Agnes Husslein-Arco (Hg.), WOW! The Heidi Horten Collection. Ausstellungskatalog Leopold Museum, Wien 2018, korrigierte 2. Auflage, S. 56-58. |
Heidi Horten Collection / Agnes Husslein-Arco & Rolf Johannsen (Hg.), Sammlungsführer, Wien 2023, S. 146-147. |