Werktitel: Er und Sie (Alexej von Jawlensky, 1912)
Inventarnummer: K-126
Größe/Material: 66 × 42 cm, Öl auf Karton
Merkmale: sign. recto li. u. "A. Jawlensky"; sign., dat. und betit. verso "A. v. Jawlensky 1912; Er und Sie 1912"

Alexej von Jawlensky, Er und Sie, 1912 © Heidi Horten Collection
Eine männliche Figur im Vordergrund, im Hintergrund – als „Bild im Bild“ – das gerahmte Porträt einer Frau. Beide Figuren weisen eine ähnliche Haltung auf, blicken in dieselbe Richtung. Mit seinem freien gestischen Malduktus und seiner intensiven Farbigkeit zählt das Doppelporträt Er und Sie zum expressionistischen Frühwerk von Alexej von Jawlensky. Das Gemälde zeigt eines der herausragendsten Künstlerpaare der Avantgarde: Er – das ist Alexej von Jawlensky selbst; sie – das ist Marianne von Werefkin.
Beide lernen sich 1892 während Jawlenskys Studium an der Akademie in St. Petersburg über Ilja Repin, den wichtigsten Vertreter des russischen Realismus, kennen. Werefkin, Repins ehemalige Privatschülerin, ist zu dieser Zeit bereits eine anerkannte Künstlerin und fördert Jawlensky. Als Paar ziehen sie 1896 nach München, ihre Lebensgemeinschaft wird knapp 30 Jahre andauern. Werefkin sieht Jawlensky als Instrument, um ein höheres Ziel zu erreichen: Sie möchte durch ihn eine neue Kunst etablieren, da sie befürchtet, dies durch ihren geringeren gesellschaftlichen Stellenwert als Frau nicht erwirken zu können. Gleichzeitig überlässt sie Jawlensky als Mann den Vortritt: „Alles, alles was er von mir erhielt, gab ich vor zu nehmen – alles was ich in ihn hineinlegte, gab ich vor, als Geschenk zu empfangen. […] [D]amit er nicht als Künstler eifersüchtig sein sollte, verbarg ich vor ihm meine Kunst“.
Vor diesem Hintergrund liest sich das Doppelporträt auch als Sinnbild einer komplexen, ambivalenten Beziehung, in der sich Jawlensky zwar dominant in den Vordergrund stellt, Werefkin als Bezugsrahmen im Hintergrund aber Bestand hat. Tatsächlich entwickelt sich Jawlenskys Stil Anfang des 20. Jahrhunderts rasant. Unter Werefkins Einfluss sowie durch Reisen nach Paris, wo er unter anderem Werke von Paul Cézanne, Paul Gauguin und Henri Matisse kennenlernt, lässt er die spätimpressionistische Tradition hinter sich und wendet sich wie in Er und Sie einer expressiven, in der Wahl der Farben freien Malerei zu. Das Werk entsteht zu der Zeit, in der Jawlensky und Werefkin Teil des von Wassily Kandinsky und Franz Marc ins Leben gerufenen Künstlernetzwerks Der Blaue Reiter sind, das als zentraler Wegbereiter der Moderne in die Kunstgeschichte eingehen wird.
PROVENIENZ | |
---|---|
1941 | Nachlass des Künstlers |
1956 | Kleeman Gallery, New York |
[…] | Europäische Privatsammlung |
8/1998 | De Pury & Luxembourg Art, Genf |
20.8.1998 | Heidi Horten |
2022 | HGH-Vermögensstiftung |
LITERATUR |
---|
Kleeman Gallery (Hrsg.), Jawlensky, Ausst.-Kat., New York 1956, Nr. 11 |
Clemens Weiler, Alexej Jawlensky, Köln 1959, Nr. 133, S. 236 |
Kunstmuseum Winterthur (Hrsg.), Der Blaue Reiter und sein Kreis, Ausst.-Kat., 23.04.-11.06.1961, Nr. 96 |
Pasadena Art Museum (Hrsg.), Alexej Jawlensky. A Centennial Exhibition, Ausst.-Kat., Pasadena Art Museum, 14.04.-19.05.1964, Nr. 36, S. 32 |
Leonard Hutton Galleries (Hrsg.), Russian Avant-Garde 1908-1922, Ausst.-Kat., Leonard Hutton Galleries, New York, 16.10.-18.12.1971, Nr. 42, S. 98 |
Leonard Hutton Galleries (Hrsg.), German Expressionists, Ausst.-Kat., Leonard Hutton Galleries, New York, November 1972 bis Februar 1973, Nr. 24, S. 42 |
Allentown Art Museum (Hrsg.), The Blue Four and the German Expressionism, Ausst.-Kat., Allentown Art Museum, Allentown, 10.03.-21.04.1974, Nr. 18, S. 10 |
Maria Jawlensky, Lucia Pieroni-Jawlensky, Angelica Jawlensky, Alexej von Jawlensky. Catalogue raisonné of the Oil Paintings, Vol. I (1890-1914), London 1991, Nr. 472, S. 364-365 |
Clemens Weiler, Alexej Jawlensky. Köpfe, Gesichter, Meditationen, Hanau 1970, Nr. 120 |
Bearbeiter*in: Vanessa-Maria Voigt