Heidi Goëss-Horten © Ouriel Morgensztern
“I am proud, with my collection and the construction of the museum, to have created something lasting, which future generations will also be able to experience when they visit my museum and take joy in the art that has given me such joy for so long.”
Heidi Goëss-Horten
Henri de Toulouse-Lautrec
Henri de Toulouse-Lautrec
„Die Ehe ist eine lange Mahlzeit,
die mit dem Dessert beginnt.“
Henri de Toulouse-Lautrec
Henri Marie Raymond de Toulouse-Lautrec-Monfa wird am 24. November 1864 auf dem Familiensitz Hôtel du Bosc, einem mittelalterlichen Stadtpalast, in Albi geboren.
Er entstammt altem französischem Adel. Die Grafen von Toulouse führen ihren Ursprung bis zu Karl dem Großen zurück. Seine Eltern Graf Alphonse de Toulouse-Lautrec-Monfa und Gräfin Adèle Zoë Marie Marquette geborene Tapiè de Céleyran sind Cousin und Cousine ersten Grades. Vier Jahre später stirbt ihr zweiter Sohn Richard-Constantine im Alter von nur einem Jahr. Lautrec ist ein schwächliches Kind und wächst im südfranzösischen Familienanwesen in Albi und in Céleyran auf.
Kränkliche Kindheit
Er leidet an einer erblichen Knochenkrankheit und bricht er sich als Dreizehn- und Vierzehn-Jähriger zuerst den linken, dann den rechten Oberschenkel. Seine Beine wachsen nicht mehr.Er bleibt kleinwüchsig bei normal gewachsenem Kopf und Oberkörper und wird die Erwartungen des Vaters von Reiten, Jagen und Führen des Familienbesitzes nicht erfüllenkönnen. Liegekuren, Heilbäder und Sanatorium-Aufenthalte überschatten seine Kindheit, erlauben ihm aber sein Zeichentalent zu entfalten.
Ausbildung
Im Gegensatz zum zeichnerisch dilettierenden Vater will Toulouse-Lautrec ernsthaft Künstler werden. Er erhält erste Unterweisungen von dem taubstummen Pferdemaler René Princeteau, einem Freund des Vaters. Durch ihn entstehen erste Pferdebilder. Nach der Matura 1881 geht Toulouse-Lautrec nach Paris, um bei Princeteau weiter zu lernen. Dieser führt ihn in die Welt des Theaters und des Zirkus ein. Er wechselt 1882 ins Atelier von Léon Bonnat und bleibt auch bis 1886 bei dessen Nachfolger Fernand Cormon. Hier trifft er 1884 Émile Bernard und 1886 Vincent van Gogh, mit beiden verbindet ihn eine lebenslange Freundschaft. 1883 kauft seine Mutter Schloss Malromé bei Bordeaux, wo Lautrec fortan nach seinen regelmäßigen Bade- und Segelferien am Meer die Spätsommer verbringt.
Toulouse-Lautrec und Montmartre
Toulouse-Lautrec zieht 1884 auf den Montmartre zuerst in die Rue Fontaine, in der auch der von ihm verehrte Maler Edgar Degas, der mit einer Pastellkreidearbeit in der Heidi Horten Collection vertreten ist, sein Atelier hat. Ab 1886 hat Toulouse-Lautrec ein Atelier in der Rue Tourlaque und ab 1897 in der Rue Frochot. Die Vergnügungslokale Elysée Montmartre, Moulin de la Galette, die Cabarets allen voran Le Mirliton von Aristide Bruant, den Lautrec auf zahlreichen Plakaten porträtiert, und die Tanztheater werden sein zweites Zuhause. Er besucht im 9. Arrondisement (Bezirk) die Folies Bérgère und ist Stammgast im Café-Chantant sowie im 1889 eröffneten Moulin Rouge. Überall hat er einen Platz, der für ihn reserviert ist, von dem aus er die auftretenden Clowns, Tänzer:innen, Dompteusen und Sänger:innen skizzieren kann. Er taucht in die Welt der Bohemiens und leichten Mädchen ein und malt in den Bordellen. Er malt die Clowns und Kunstreiter:innen im Zirkus Fernando ebenso wie eine Porträtserie im Garten von Monsieur Forest in Montmartre. Er malt Freudenmädchen wie Theaterstars und wird zum Porträtisten des Pariser Nachtlebens.
Von 1889 bis 1899 malt und zeichnet Toulouse-Lautrec unermüdlich. Neben Zeichnungen und Gemälden entstehen Lithografien und Plakate. Ab 1889 sind seine Arbeiten regelmäßig im Salon des Indépendants ausgestellt. Er erlebt die Anfänge des Impressionismus und stellt 1891 mit den Impressionisten aus. 1893 hat er seine erste große Einzelausstellung bei Goupil. Zu seinem großen Künstlerkreis gehört auch sein Modell, die spätere Malerin Suzanne Valadon, mit der er einige Zeit eine Liebesbeziehung pflegt, Paul Signac, der mit zwei Aquarellen in der Heidi Horten Collection vertreten ist und mit dem er 1890 nach Brüssel reist, sowie die Nabis Künstler Pierre Bonnard und Édouard Vuillard, die beide in der Heidi Horten Collection vertreten sind, sowie Félix Valloton.
Toulouse Lautrec malt La Danse au Moulin Rouge 1890, Foto: gemeinfrei
Marcelle Lender en buste
Toulouse-Lautrec hat mit seinem Oeuvre den Schauspielerinnen, Tänzerinnen und Sängerinnen Jane Avril, Sarah Bernhardt, Yvette Guilbert, May Belfort, Marcelle Lender sowie der von ihm hoch geschätzten Clownin des Moulin Rouge Cha-U-Kao und der damaligen Königin des Moulin Rouge, La Goulue, die eigentlich Louise Weber heißt, ein visuelles Denkmal gesetzt und sie unsterblich gemacht. In der Heidi Horten Collection befinden sich zwei Lithographien, eine von Marcelle Lender und eine von May Belfort.
Neben den Plakaten sind Toulouse-Lautrecs Lithografien auch dem Theater und seinen Stars gewidmet. Die Lithographie Marcelle Lender en buste (Marcelle Lender als Büste) aus dem Jahr 1895, von der sich ein Abzug in der Heidi Horten Collection befindet, zeigt die Künstlerin in ihrer Rolle als spanische Prinzessin Galwinthe in der Merowinger Operette Chilpéric von Florimond Hervé. Ein unübersehbares Merkmal sind ihre beiden großen Blumen links und rechts im Haar. Links oben innerhalb des Motivs ist die Lithografie im Stein monogrammiert. Die Darstellung wird auch als Mehrfarbendruck aufgelegt und erscheint als solcher 1895 in der deutschen Kunstzeitschrift Pan 1/3.
Henri de Toulouse-Lautrec,
Marcelle Lender en buste (Marcelle Lender als Büste), 1895, Lithographie, 66 x 55 cm, Heidi Horten Collection
Bild 1: Mademoiselle Marcelle Lender, en buste. 1895, Farblithografie, National Gallery of Art Washington DC, Inv.Nr. 1951 10 431
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Bild 1: Mademoiselle Marcelle Lender, en buste. 1895, „Originallithographie in acht Farben von H. de Touluse-Lautrec PAN I 3“, Auktionshaus Neumeister in München, Aus: PAN Jahrgang 1895, Heft 3.
Toulouse-Lautrec besucht begeistert Komödien und Operetten, auch oft mehrmals dasselbe Stück. Allein die Merowinger Operette Chilpéric mit ihrem Star, der Schauspielerin, Sängerin und Tänzerin Marcelle Lender (1862–1926) soll er zum Leidwesen seiner Freunde, die ihn begleiten müssen, rund zwanzig Mal gesehen haben. Auf die Frage seines Freundes Romain Coolus, der ihn sechsmal in das Stück begleitet, was ihn so anziehe, soll Toulouse-Lautrec geantwortet haben, das Rückendekolleté der Schauspielerin. Toulouse-Lautrec studiert fasziniert ihr Dekolletée, den Rücken und ihr Kleid. Das Ergebnis seiner genauen Studien sind mehrere Lithografien und ein großes Ölgemälde. In seinen Lithographien ist die Diva aber nur ein einziges Mal als Rückenansicht dargestellt. Ein Abzug befindet sich in der National Gallery of Art in Washington D.C
Bild 1: Toulouse-Lautrec Marcelle Lender tanzt den Bolero, Lithographie, National Gallery of Art , Washington D.C.
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Bild 2: Toulouse-Lautrec Marcelle Lender tanzt den Bolero einzige Rückenansicht, Lithographie, National Gallery of Art , Washington D.C.
Verschmähte Liebesbekundungen
Unerreicht sind Toulouse-Lautrecs Theaterszenen. Auch zu Chilpéric malt der Künstler ein Ölgemälde, das die Künstlerin in ihrer Glanzrolle zeigt. Mit flammendrotem Haar, in einem grünen Kleid mit einem schwarzen Bolero und den großen, rosaroten Blumen links und rechts im Haar tanzt sie den Bolero. Ihr rosa Unterrock ist durch den wilden Tanz zu sehen. Rechts neben ihr steht ihr Bruder im Kostüm eines spanischen Toreros und links im Hintergrund sitzt ihr Ehemann, der französische König Chilpéric, auf seinem Thron. Mitglieder des Hofstaates stehen herum und beobachten die Szene.
Toulouse-Lautrec will das Ölgemälde der Diva verehren, doch sie soll nur geantwortet haben, dass er sie offensichtlich wirklich liebe, aber das Bild könne er behalten. Heute befindet sich das Gemälde in der National Gallery of Art in Washington D. C.. Dort wird 1994–95 die von Florence E. Comann kuratierte Ausstellung Toulouse-Lautrec: Marcelle Lender in „Chilpéric mit 17 Lithografien aus dem Sammlungsbestand gezigt, die die Lender in Chilpéric abbilden.
Henri de Toulouse-Lautrec Marcelle Lender Dancing the Bolero in „Chilpéric“, 1895–1896
Öl auf Leinwand, 145 x 149 cm
Sammlung Mr. und Mrs. John Hay Whitney in der National Gallery in Washington D.C.
Inv.Nr. 1990.127.1 https://www.nga.gov/collection/art-object-page.72012.html
Marcelle Lender wird 1862 als Anne-Marie Marcelle Bastien in Nancy geboren. Die gelernte Modistin entdeckt als Sechszehnjährige die Bühne für sich. In Paris tritt sie anfangs im Théâtre des Batignolles auf. Es folgen 1885 ein Engagement in St. Peterburg und 1889 die Rückkehr nach Paris, wo sie im Théâtre des Variétés, im Théâtre du Gymnase Marie Bell und im Théâtre du Palais-Royal in Stücken bekannter Bühnenautoren wie Ernest Blum Berühmtheit erlangt. Ihre Auftritte werden in den Pariser Zeitungen angekündigt und besprochen. Von ihr erscheinen sogar Karikaturen. Lender spielt in 26 Produktionen die Hauptrolle. Sie tritt 1917 von der Bühne ab und stirbt 1926 im Alter von 64 Jahren, aber die Bilder von Toulouse-Lautrec machen sie unsterblich.
May Belfort
Henri de Toulouse-Lautrec (1864 – 1901), May Belfort, 1898
Lithographie, 45 x 37,7 cm, Heidi Horten Collection
“Mit gezierter, kindlicher, lispelnder Stimme deklamiert sie eine Wehklage und wiegt dabei ihr Kätzchen im Arm”.
Néret (1992, S. 122) über May Belfort
In der Heidi Horten Collection befindet sich auch eine Lithograhie Toulouse-Lautrecs von 1898, die die irische Sängerin, Schauspielerin und Komödiantin May Belfort (um 1872–1929) ebenfalls als Büste, aber frontal zeigt. Sie blickt mit Hut, Bluse und Schal kokett aus dem Blatt, das rechts unten im Stein monogramiert ist.
Für Belfort entwirft Toulouse-Lautrec auch 1895 das Plakat, das sie in ganz Paris berühmt macht. Es zeigt sie im roten Kleid und ihrer omnipräsenten schwarzen Katze. Belfort wird zwar im dazugehörigen Programm als Operettensängerin angekündigt, doch ihr Gesang dürfte dem nicht entsprochen haben. Zu ihrem Kostüm gehört die weiße Spitzenhaube, die unter dem Kinn zusammen gebunden wird, ebenso wie ihre schwarzen Locken und die schwarze Katze. Sie erscheint auch auf der Bühne mit dem schwarzen Kätzchen im Arm. Néret (1992, S. 122) beschreibt ihren Auftritt: “Mit gezierter, kindlicher, lispelnder Stimme deklamiert sie eine Wehklage und wiegt dabei ihr Kätzchen im Arm”. Toulouse-Lautrec aber ist entzückt von ihr. Auch von May Belfort entstehen mehrere Lithographien.
May Belfort wird um 1872 als May Egan geboren und tritt in Europa, Russland, in den USA und Südafrika auf. Sie beginnt ihre Karriere als Sängerin in Londoner Variétés, bevor sie Paris mit ihren sinnfreien Liedern im Café des Décadents und im Petit Casino erobert. Belfort ist mit Jane Avril befreundet und gehört zu Toulouse-Lautrecs Favoritinnen. Ihr Liebhaber ist General Ben Viljoen. Sie will ihn heirate, erfährt aber, dass dieser bereits verheiratet ist und die Affäre mit ihr beenden will. Daraufhin geht sie nach Chicago. Nach seiner Scheidung heiratet der General ohnedies eine andere. Krankheitsbedingt muss sie die Bühne verlassen. Durch schlechte Veranlagungen verliert sie zudem ihr gesamtes Geld und muss sich als Teppichweberin verdingen, bevor sie 1929 völlig verarmt in den USA stirbt.
Henri de Toulouse-Lautrec, Plakat für May Belfort, 1895
May Belfort (May Egan) um 1902 von und nach Alexander Bassano, Bromid Abzug, 23,7 x 18 cm, National Portrait Gallery London / Photographs Collection
NPG Ax136817
Henri de Toulouse-Lautrec May Belfort auf der Bühne, 1895, Lithografie, National Gallery of Art in Washington D.C,
Toulouse-Lautrecs letzte Lebensjahre
Toulouse-Lautrec ist nur ein kurzes, aber intensives Künstlerleben vergönnt. Sein unersättlicher Tatendrang führt 1899 zum geistigen und körperlichen Zusammenbruch. Er verbringt drei Monate in der Nervenheilanstalt in Neuilly und zeichnet aus dem Gedächtnis heraus eine Zirkusserie. Danach hält er sich in der Gegend von Bordeaux auf und erlebt 1901 seine letzten drei Monate in Paris, in denen er seinen Nachlass ordnet. Ende August 1901 ist er im Schloss seiner Mutter, dem Château de Malromé in Saint-André-du-Bois, wo er am 9. September desselben Jahres mit nur 37 Jahren stirbt. Seine Arbeiten sind heute in den großen Kunstmuseen der Welt zu sehen. In Albi wird das Musée Toulouse-Lautrec eröffnet.
Text: Verena Traeger
Quellen:
Arnold, Matthias
1993 Henri de Toulouse-Lautrec 1864–1901. Das Theater des Lebens, Köln: Benedikt Taschen
Haus der Kunst
1961 Henri de Toulouse-Lautrec, Ausstellungskatalog, Haus der Kunst München in Zusammenarbeit mit dem Museum Toulouse-Lautrec, Albi
Huismann, Philippe und M. G. Dortu
1973 Henri de Toulouse-Lautrec, herausgegeben von Daniel Wildenstein unter Mitwirkung der Stiftung Wildenstein Paris, aus dem Französischen von Alfred P. Zeller: französische Ausgabe 1971 Mailand: Fratelli Fabbri, München: Schule
Hunter, S.
1953 Henri de Toulouse-Lautrec (1864–1901), München-Wien-Basel: Kurt Desch
Néret, Gilles
1993 Henri de Toulouse-Lautrec 1864 – 1901, herausgegeben von Ingo F. Walther, Köln: Benedikt Taschen
Novotny, Fritz
1966 Henri de Toulouse-Lautrec 1864 – 1901, Ausstellungskatalog, Kulturamt der Stadt Wien, Wiener Festwochen, Österreichisches Museum für angewandte Kunst in Zusammenarbeit mit der Sammlung Albertina, Wien
Sutton, Denis
1962 Lautrec, London: Paul Hamlyn
Belfort
https://en.wikipedia.org/wiki/May_Belfort
Lender
https://de.wikipedia.org/wiki/Marcelle_Lender
https://en.wikipedia.org/wiki/Marcelle_Lender
https://www.nga.gov/global-site-search-page.html?searchterm=Marcelle+Lender
MOMA
https://www.moma.org/collection/works/126488
Neumeister
https://www.neumeister.com/kunstwerksuche/kunstdatenbank/ergebnis/167-10/Henri%2Bde-Toulouse-Lautrec/
Zusätzliche Lithos, National Gallery of Washington, D.C.