Heidi Goëss-Horten © Ouriel Morgensztern
“I am proud, with my collection and the construction of the museum, to have created something lasting, which future generations will also be able to experience when they visit my museum and take joy in the art that has given me such joy for so long.”
Heidi Goëss-Horten
Maurice Utrillo
Suzanne Valodon und ihr Sohn Maurice, ca. 1889
„Taumelnd durch die Straßen des Montmartre"
Maurice Utrillo wird 1883 als unehelicher Sohn des Aktmodells Marie Clémentine Valade (1865–1938), die später unter dem Namen Suzanne Valadon als Malerin in die Kunstgeschichte eingehen wird, und eines gewissen Boissy unter dem Namen Maurice Valadon in der Rue de Poteau am Montmartre geboren.
Der katalanische Maler, Archäologe und Ingenieur Miguel Utrillo y Molins (1862–1934) legitimiert das schwächliche Kind 1891 mit seinem Namen. Utrillo durchlebt eine schwere Kindheit und Jugend. Mit seiner Mutter und ihrem späteren Ehemann Paul Mousis bezieht er 1893 ein kleines Landhaus in Pierrefitte bei Montmagny, wo er zur Schule geht. Ab 1896 besucht er das Collège Rollin und 1899 bis 1900 arbeitet er kurz beim Crédite Foncier, bevor er Maler wird.
Die schwere Anfangszeit
Utrillo verfällt früh dem Alkohol und durchlebt bereits 1901 seine erste Entziehungskur in Sainte-Anne. Auf den Rat eines Arztes hin und unterstützt durch die Mutter beginnt er 1902 intensiv zu zeichnen und zu malen. Zwischen 1903 und 1906 malt er in Montmagny, Pierrefitte, am Montmartre und an den Quais der Seine. Nur wenige wie der Bilderhändler Clovis Sagot oder der Kunstkenner Tabarant erkennen damals sein Talent. Ab 1909 beginnt auch Louis Libaude mit seinen Werken zu handeln. Utrillo trinkt weiter, „um besser zu malen“ und er malt „um mehr trinken zu können“ (Pétridès S.V). Seine eigene Mutter erklärt die Alkohol-Neigung ihres Sohnes damit, dass er trinkt „um sich begeisterter und stärker zu fühlen“ (in: Pétridès 1960, S. V). Utrillo wird vom Mystizismus und von Träumen angezogen und ist nach Pétridès (1960, S. V) „ohnmächtig gegenüber dem Leben und den Menschen durch seine Keuschheit“.
Oft volltrunken und hungernd taumelt er durch die Straßen des Montmartre, wenn ihn nicht sein Freund der Bildhauer Guyot unterstützt. Von den Malern des Montmartre ermutigt und berät ihn nur der etwas ältere Maler Quizet und im Atelier seiner Mutter erhält der Autodidakt Ratschläge anwesender Maler. Utrillo ist ein angeboren guter Zeichner und Maler, der in einer fleckigen alten Mauer oder neben verlassenen Bahngleisen das Malerische emotional und visuell erfassen und bildlich umsetzen kann. Nach André Derain begegnet man in seinen Gemälden immer dem „Wunder“ (in: Pétridès 1960:VI). Utrillo liebt auch die Musik und spielt gerne Klavier.
Suzanne Valodon , Utrillo vor der Staffelei, 1919
Utrillos „Weiße Epoche“ und Rue sous la neige à Sannois
Maurice Utrillo, Rue sous la neige à Sannois, um 1914
Öl auf Leinwand , 45,7 x 56 cm, Heidi Horten Collection
Von 1907 bis 1914 dauert Utrillos „weiße Epoche“, in der die Farbe Weiß in seiner Malerei die Hauptrolle spielt. Am Ende dieser Periode entsteht auch das um 1914 gemalte Ölgemälde der Rue sous la neige à Sannois, das sich heute in der Heidi Horten Collection befindet. In der Heilanstalt von Sannois, wo der Künstler von Dr. Revertegart behandelt wird, hält sich Utrillo erstmals 1912 auf. In dem Jahr reist er auch mit seiner Mutter nach Korsika und mit seinem Freund Richmond Chaudois in die Bretagne. Während seines zweiten Aufenthaltes 1914 in Sannois malt er die Rue sous la neige à Sannois.
Utrillo, der in seinem gesamten Werk eine Vorliebe für Straßenszenen zeigt, malt mit flottem Pinselduktus den Blick auf eine schneebedeckte Straße, links eine geschlossene Gartenfront vornehmer Bürgerhäuser, in der Mitte eine Gruppe von Passanten als bunte Farbtupfer im Schnee, und rechts im Bild eine Feuerwand in gedämpftem Rot mit der Aufschrift links Vins et Liqueurs sowie rechts Restaurant. Utrillo ist ein feinfühliger Maler, der den Einfluss des Impressionismus für sich verarbeitet hat und mit raschen Pinselstrichen die Farben setzt, Konturen zieht und akzentuiert. Francis Caro schreibt über Utrillos flotte Malweise: „Ich habe ihn häufig malen gesehen; seine Geschwindigkeit hatte etwas von einem Wunder an sich. In wenigen Stunden hatte er ein Bild von Montmartre hingeworfen, als ob eine Zauberhand ihn gelenkt hätte […].“ (in: Claus 1960, S. X)
Es gelingt Utrillo mit Leichtigkeit die alltägliche Szene, die er während seiner Entziehungskur in Sannois sieht, mit tieferer Bedeutung zu beschweren. Das unscheinbar wirkende Motiv der kalten, schneebedeckten Straße mit dem warmen Rot der Weinhandlung wird zum Sinnbild der inneren Gefühlslage des Künstlers. Im selben Jahr (1914) nimmt er auch an einer Gruppenausstellung bei Druet teil und zwanzig seiner Werke werden im Hôtel Drouot für den Pappenstiel von insgesamt nur 576 Francs versteigert.
Utrillos „Farbige Epoche“
Im Mai 1915 wird Utrillo zum Militärdienst einberufen, aber kurz danach wieder entlassen. Er ist 1916 einige Monate im Asyl von Villejuif und erkrankt 1917, sodass er ins Hospital Saint-Louis überführt wird. Es folgt 1918 die Internierung in die Heilanstalt in Aulnay-sous-Bois. Von dort flieht der Künstler und begibt sich freiwillig in die Anstalt von Picpus. Ein zweiter Aufenthalt in Picpus folgt 1919.
Ab 1920 wird Utrillos Farbpalette bunter, es ist der Beginn seiner „farbigen Epoche“. Nach einem kurzen Aufenthalt 1921 in der Santé wird er in Sainte-Anne interniert und danach in der Anstalt von Ivry. Er stellt 1923 in der Galerie Berthe Weil, bei Barbazanges und in der Galerie Bernheim-Jeune aus. Auch 1924 folgen Ausstellungen in den Galerien Dewambez und Bernheim-Jeune sowie die Entlassung aus Ivry. Seine Mutter kauft in dem Jahr das Schloss von Saint-Bernard in Ain in der Auvergne, in dem er bis 1934 die Sommer verbringt. Utrillo beginnt 1924 neben Landschaften Kompositionen im Freien zu malen.
Jahre des Erfolgs und späten Eheglücks
Im Pavillon Marsan in Paris ist Utrillo 1925 in der Ausstellung Fünfzig Jahre Französische Malerei vertreten. Im Jahr darauf (1926) wird sein Gemälde L’Eglise Saint-Séverin im Hôtel Drouot für 50.000 Francs versteigert. Im selben Jahr entwirft er Dekorationen und Kostüme für Serge Diaghilews Ballett Barabao im Théâtre Sarah-Bernardt. Mit seiner Mutter und deren zweitem Ehemann dem Maler André Utter zieht er in eine Villa in die Avenue Junot auf den Montmartre und wird 1928 zum Ritter der Ehrenlegion geschlagen. Im selben Jahr lernt er den Kunsthändler und Sammler Paul Pétridès (1901–1993) kennen, der bereits ein Sammler seiner Werke ist. Dieser eröffnet 1934 seine Galerie in der Rue Matignon und zeigt in der Folge mehrere Ausstellungen des Künstlers. Pétridès wird Utrillo exklusiv vertreten.
Maurice Utrillo malend mit seiner Frau Lucie Valore-Utrillo
Sein spätes Lebensglück findet der Künstler am 3. Mai 1935 durch die Heirat mit Lucie Pauwels, geborene Valore in Angoulême. Sie ist die Witwe eines belgischen Finanziers und betätigt sich als Amateurmalerin. Zwei Jahre später beziehen die beiden eine vornehme Villa in dem eleganten Pariser Vorort Le Vésinet, die sie in La Bonne Lucie umbenennen.
Utrillos Werke werden 1937 in London und 1939 in New York gezeigt. Er entwirft 1948 die Dekorationen für Louise an der Opéra Comique in Paris und der Pariser Herbstsalon zeigt eine Retrospektive seiner Werke. Sein Gemälde La Maison de Gabrielle d’Estrées aus dem Jahr 1914 erzielt 1949 stolze 1.200.000 Francs und 36 Fälschungen seiner Werke werden beschlagnahmt. Im französischen Pavillon der Biennale von Venedig ist 1950 ein ganzer Saal mit seinen Werken bestückt.
Rote Blumen in blauer Vase
Maurice Utrillo, Rote Blumen in blauer Vase, September 1938
Öl auf Leinwand, 33,4 x 24,2 cm, Heidi Horten Collection
In der Heidi Horten Collection befindet sich auch das kleine Stillleben, Rote Blumen in blauer Vase, das vom Künstler selbst mit „Septembre 1938“ datiert ist, also drei Jahre nach seiner Hochzeit entstanden ist. Das Stillleben ist mit leuchtenden Farben und dynamischem Pinselduktus gemalt. Das farbenfrohe Blumen-Arrangement aus Blau-, Rot-, Weiß- und Grün-Tönen sowie Schwarz und Gelb entwickelt sich in explosiven Pinselstrichen aus der stabilen, leuchtend blauen Vase, die Utrillo mit schwarz umrandet und auf dem ockerfarbenen Tisch vor braunem Hintergrund wie einen Zirkusartisten im Lichtkegel einer Manege präsentiert. Die prächtig aufgeblühten, tiefroten Amaryllis vermitteln pure Lebensfreude. Das Gemälde gehört zu Utrillos Spätwerk und ist in seiner farbigen Epoche und glücklichsten Phase seines Lebens entstanden. Er ist verheiratet, lebt in seiner Villa La Bonne Lucie im noblen Pariser Vorort Le Vésinet, seine Bilder werden weltweit ausgestellt und erzielen hohe Preise. Er steht am Höhepunkt seines Erfolges.
Utrillos letztes Lebensjahr
Das Ehepaar Utrillo-Valore erhält 1955 im Hôtel de Ville (Rathaus) von Paris die Medaille d’Or de la Ville de Paris (Goldene Medaille der Stadt Paris). Im selben Jahr stirbt der Künstler in der südfranzösischen Stadt Dax in der Region Landes nahe der Atlantikküste und wird auf dem kleinen Friedhof von Saint-Vincent am Montmartre beigesetzt. Nach seinem Tod wird eine Rose nach dem Maler benannt und zu seinem 100. Geburtsjubiläum gibt die französische Post 1983 eine Sondermarke mit dem Motiv der Weinschänke Le Lapin Agil am Montmartre heraus. In Sannois wird 1995 in der Villa Rozée, einem Bürgerhaus des 18. Jahrhunderts, das Musée Utrillo-Valadon eröffnet.
Autorin: Verena Traeger
Quellen
Claus, Jürgen (Redaktion)
1960 Maurice Utrillo V. Suzanne Valadon, Ausstellungskatalog Haus der Kunst, München
Pétridès, Paul
1960 Maurice Utrillo (1883-1955), in: Claus, S.V-VIII
Wikipedia Butte Montmartre
https://meinfrankreich.com/paris_butte-montmartre/
Wikipedia Utrilllo
https://de.wikipedia.org/wiki/Maurice_Utrillo